Die Zigarette von Kathleen Kühn
Wir hatten schon eine viel zu lange viertel Stunde schweigend nebeneinander vor dem Kiosk gestanden, obwohl er geschlossen war.
„Hast du mal Feuer?“, fragte ich sie. Und als ob sie nur auf diese Frage gewartet hatte, begann sie so schnell zu nicken, dass ihre Wimpern aufschlugen, dabei durchwühlte sie hektisch ihre Taschen. Beeindruckt war ich schon immer von diesem Satz gewesen – zumindest in den Filmen, wenn ihn der Held der Handlung, lässig im Halbdunkel an eine Hauswand gelehnt, aus hochgeschlagenem Mantelkragen sprach. Ich hatte noch nie geraucht. Es fehlte auch das Dunkel, nicht mal Nebel zog auf. Aber irgendwie würde es schon werden. Da war ich mir ganz sicher. Da musste ich ganz sicher sein, denn zu viel stand auf dem Spiel. Heute wollte ich es wissen, musste ich es wissen. Ich war als Letzter übriggeblieben. Das wussten alle. Ich beobachtete die Bewegung ihrer Augäpfel unter den bläulich geaderten Lidern. Sie suchte noch immer. Und es kam mir vor, als ob sie plötzlich selbst erschrocken war, ein Feuerzeug in ihren Taschen gefunden zu haben, und es mir so direkt vors Gesicht halten konnte. „Hier hast du…“, und der kleine Hebel klickte. Ich starrte in ihre Augen, und wünschte das Schwarze in deren Mitte noch tiefer, damit ich sofort darin verschwinden konnte. Doch es ging nicht. Ich war ganz da, nur sprachlos. Ich wischte mir mit einer Hand die Stirn, fuhr mit der anderen durch die Haare, und schämte mich auf einmal meiner nicht vorhandenen Schauspielkünste, die sich bereits mit dem ersten Satz erschöpft hatten. Gequält blickte ich nach unten, schob mit dem Fuß einen Stein in ihre Richtung. „Und eine Kippe auch?“, nuschelte ich fast dabei. Es passierte nichts. Ich schaute suchend zur Wand. Auf der verblichenen Fahne, die an der Ecke der Kioskmauer hing, war eine Eiswaffel im Strahlenkranz abgebildet. Keine Antwort, und mein Blick ging wieder zu ihr rüber. Sie schien zu lächeln, und gar nicht abwertend, wie ich feststellte. Zögernd begann ich wieder zu atmen, vergrub die Hände in den Hosentaschen, schob die Schultern nach oben und grinste sie an. Sie lachte zurück. Es klang irgendwie glucksend. Ich ließ meine Schultern wieder sinken. Viel schneller als vorhin griff sie jetzt die Schachtel aus der linken Tasche, schob sich eine Zigarette gekonnt zwischen die Lippen, und hielt sie in die aufschnellende Flamme. Der Kreis glühte. Sie zog das knisternde Orange nach innen und bließ den Rauch ganz langsam aus. Ebenso langsam nahm sie die Zigarette wieder heraus, der Mund blieb dabei leicht geöffnet. Mit einem kurzen Blick überprüfte sie die Spitze. Sie brannte. Und während sie einen Schritt auf mich zuging, die Zigarette in meine Richtung gedreht, starrte ich nur auf die rosa Farbe ihres Lippenstifts, die jetzt am Filter klebte. Ich schluckte und wunderte mich, dass sich mein Mund so selbstverständlich öffnete. Sie hatte mir die Zigarette mit dem klebrigen Rosa einfach hineingesteckt. Ich stand da wie blöd. Inzwischen setzte sie sich mit dem Rücken zur Wand, ließ einen Stein zwischen ihren Handflächen hin- und herwandern, und forderte mich zum Sitzen auf als sie ihn neben sich legte. Ich hockte mich zu ihr, etwas Asche fiel auf den Plattenweg. Sie hatte sich schon längst eine Neue angezündet und blickte, die Beine übereinander-geschlagen, in die Hinterhöfe. Ich beeilte mich jetzt zu ziehen, ohne zu husten. Die Anderen hatte ich oft dabei beobachtet. Meine Augen brannten. Aber ich hielt durch, obwohl mein Magen krampfte, der Hals kratzte, und ich sowieso total daneben war.
Es war meine erste Zigarette, und wir saßen mit dem Rücken zum Kiosk, der geschlossen war, und sie nahm ihre Hand, die immer noch neben dem Stein lag nicht weg, als ich den ersten ihrer Finger berührte.